Newsroom Events Medizin am Abend 2025 110. Knochenbrüche:…

Von Knochenzucht und motorisierten Nägeln

Unfallchirurg Gerhard Schmidmaier sprach bei „Medizin am Abend“ über Hightech im OP – Hohe Erfolgsquote seines Fachgebiets

Menschen mit komplizierten Knochenbrüchen wieder zum Gehen zu bringen – keinem geringeren Ziel haben sich Ärzte aller Zeiten verschrieben. „Die Unfallchirurgie ist nachweislich das älteste Fach der Medizin“, erklärte Gerhard Schmidmaier vom Heidelberger Universitätsklinikum am Donnerstagabend zu Beginn seines Vortrags im Neuenheimer Feld. In der folgenden Stunde nahm der Professor für Unfallchirurgie sein gebanntes Publikum im Schnelldurchlauf mit auf eine Erkundungstour durch sein Fach. Und wie so oft bei „Medizin am Abend“, der gemeinsamen Veranstaltungsreihe von Rhein-Neckar-Zeitung und Universitätsklinikum, stand auch hier am Ende die Erkenntnis: Gesundheit ist ein hohes Gut, und wenn schon Probleme auftauchen, dann lieber heute als zu jedem früheren Zeitpunkt in der Geschichte.

Mit Grafiken, Fotos und zahlreichen Röntgenbildern konnte Schmidmaier seine Ausführungen nicht nur Laien verständlich machen, sondern sie auch für sein Fach begeistern. Und auch ein kurzes Schwarz-Weiß-Video zeigte er, nicht ohne sein Publikum mental darauf vorzubereiten. Zu sehen war die Amputation eines Unterschenkels, aufgenommen um 1900 herum in Berlin. „So hat man operiert“, erläuterte der Referent – beherzt griffen die Ärzte zur Säge, Handschuhe trugen sie nicht. Das Publikum schien die Luft anzuhalten.

Heute geht es im Operationssaal natürlich ganz anders zu. Schmidmaier und seine Kollegen tragen sogar Helme und zwei Paar Handschuhe, damit auch wirklich keine Bakterien in die Wunde gelangen. Nach wie vor sind viele Brüche zwar auch ohne eine Operation hervorragend zu heilen – aber im Bedarfsfall gibt es heute auch in der Unfallchirurgie jede Menge Hightech. Ein Beispiel: Nägel mit Motor, die sich selbst ausfahren können. In den Knochen eingebracht, ziehen sie ihn langsam auseinander – bis zu einem Millimeter täglich – und regen ihn so zum Wachstum an. „Toll, dass wir so etwas zur Verfügung haben“, kommentierte Schmidmaier diese Möglichkeit und zeigte Röntgenbilder, die zu einem verunfallten Motorradfahrer gehörten. Die Therapie damit habe ihm gut geholfen: „Nach einem Jahr konnte er wieder laufen“, berichtete der Referent.

Damit enden die Innovationen nicht, die Liste wäre viel länger. Schmidmaier kam auch etwa auf das Züchten körpereigenen Knochens zu sprechen („Wir saugen Knochenmark und Stammzellen ab und züchten damit neues Material“) oder auch auf beschichtete Implantate, die Infektionen am Knochen von Anfang an vorbeugen („Infektionen sind das große Problem der Medizin. Wenn die Implantate beschichtet sind, können sich Erreger kaum mehr ansiedeln“).

Knochenbrüche von Jüngeren gehen oft auf Sportunfälle zurück, die der Älteren häufig auf Osteoporose. Den meisten Patienten kann Schmidmaiers Disziplin heutzutage gut helfen. „Wir haben eine Erfolgsquote von 90 Prozent, das gilt nicht für jedes Fach.“ Doch so erfreulich das sein mag, wird man im Idealfall natürlich gar nicht erst zum Patienten. Bevor die Fragerunde begann, gab Schmidmaier seinem Publikum daher noch ein paar Tipps zur Vorbeugung mit auf den Weg. „Die meisten von Ihnen sind über 25. Wer von Ihnen hat schon einmal die Knochendichte messen lassen“, fragte er in die Runde. Dass viele Hände von Damen in die Höhe gingen, war ihm nicht genug. „Meine Herren, auch Sie können Osteoporose bekommen“, mahnte er an. Gegebenenfalls sei die Einnahme von Vitamin D und Kalzium angeraten („Mit nur einer Tablette bleiben Sie gesünder, und sie schmeckt sogar gut“). Ratsam sei auch aus unfallchirurgischer Sicht, andere Erkrankungen wie Diabetes zu behandeln, und Bewegung und Sport stärkten die Muskulatur ebenso wie die Knochensubstanz. Spazieren, radfahren, häufiger die Treppe statt des Aufzugs nehmen – all das sei nützlich. Eine Einschränkung gibt es aber doch. „Bitte nicht zu schnell mit dem E-Bike den Berg hinunterfahren“, so Schmidmaiers Ratschlag. Denn sonst könnte man es doch noch mit ihm zu tun bekommen.

Info: Die nächste Folge dreht sich um Rheuma. Prof. Hanns-Martin Lorenz spricht dazu am Donnerstag, 26. Juni, um 19 Uhr in der Kopfklinik.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

Knochenfrakturen: Gerade im Alter ist es wichtig, schnell wieder auf die Beine zu kommen – Unfallchirurg Prof. Schmidmaier: Heidelberg führend beim Züchten körpereigenen Knochens

Von wegen harter Knochen: Ein großer Teil der Menschen bricht sich irgendwann mal etwas – und die Wahrscheinlichkeit steigt mit zunehmendem Alter. Gerhard Schmidmaier ist Professor für Unfallchirurgie am Heidelberger Universitätsklinikum. Er weiß nicht nur, wie man Knochen heilt, sondern auch, was sie schützt. Fragen an den nächsten Referenten von „Medizin am Abend“, der gemeinsamen Vorlesungsreihe von Rhein-Neckar-Zeitung und Uniklinikum.

Professor Schmidmaier, das menschliche Skelett umfasst mehr als 200 Knochen. Welcher geht am häufigsten zu Bruch?

Am häufigsten bricht das Handgelenk. Wir stürzen, strecken unsere Hände aus, um den Körper zu schützen, und schon ist es passiert. Andere Brüche treten gehäuft in bestimmten Altersgruppen auf. Jüngere brechen sich eher das Schlüsselbein, Ältere eher den Oberschenkelhals.

Es heißt, im Alter heilen Brüche schlechter. Woran liegt das?

Das stimmt nur bedingt. Knochenbrüche heilen auch bei alten Menschen, wenngleich es länger dauern kann. Das Problem ist vor allem die Substanz drumherum. Bei einer schwächer gewordenen Muskulatur kann es sich hinziehen, bis man wieder auf die Beine kommt.

Heißt das, es reicht nicht, Kalzium- und Vitamin-D-Tabletten zu schlucken, um die Knochengesundheit zu stärken?

Eine Vitamin-Prophylaxe ist vor allem im höheren Alter wichtig. Noch entscheidender ist aber, wie fit man vor dem Bruch war. Wer nur auf der Couch sitzt, hat eine schlechte Ausgangssituation. Es ist nie zu spät, um mit dem Spazieren oder dem Radfahren anzufangen. Davon profitiert nicht nur die Muskulatur, sondern auch der Knochen. Er wird stärker.

Und wenn er doch bricht: Wie lange dauert es, bis er wieder voll belastbar ist?

Das hängt ab von der Therapie. Wird der Bruch konservativ behandelt – also ruhiggestellt –, muss man sechs Wochen bis drei Monate rechnen. Wenn wir operieren und den Knochen zusätzlich stabilisieren, geht es deutlich schneller, und man kann ihn oft sofort wieder belasten.

Stabilisieren bedeutet, dass Sie Schrauben oder Platten einsetzen. In welchen Fällen ist das eine Option?

Die Weichteile müssen es zulassen. Ist das der Fall, versuchen wir es bei vielen Brüchen. Man muss einmal durch die Operation, aber hinterher ist alles an Ort und Stelle und auch wieder stabil. Es ist wichtig, schnell wieder auf die Beine zu kommen, vor allem im Alter. Bei Über-70-Jährigen beträgt die Sterblichkeit nach einem Schenkelhalsbruch 40 Prozent binnen eines Jahres. Das liegt nicht am Bruch, sondern an den Folgen der Bettlägerigkeit; dazu zählen etwa Thrombosen.

Es können auch Komplikationen am Knochen auftreten, etwa Infektionen. Wie kommt es dazu?

Wenn beispielsweise jemand einen offenen Unterschenkelbruch hat, durchspießt der Knochen die Haut. So können Erreger in den Körper gelangen. Normalerweise ist der Knochen ein dankbares Organ, aber er reagiert sehr empfindlich auf Bakterien. Deshalb sind die Hygieneanforderungen bei uns im OP auch höher als in anderen Disziplinen: Wir tragen beim Operieren auch Helme und zwei Paar Handschuhe, damit ja keine Erreger in die Wunde gelangen.

Solche Dinge bekommt man als Patient ja gar nicht mit. Welche Komplikationen können noch auftreten?

Manchmal heilt ein Knochen nicht, weil die Knochenhaut verletzt und die Durchblutung gestört ist. Das bezeichnen wir als Pseudarthrose. In anderen Fällen halten die Platten und Schrauben nicht – weil sie nicht gut fixiert wurden oder weil die Patienten sie zu stark belasten. Selten geworden sind Unverträglichkeiten. Implantate bestehen heutzutage aus nahezu hundertprozentigem Titan oder sehr reinem Stahl; im Allgemeinen sind diese Materialien gut verträglich.

Gibt es Knochen, die besonders anfällig für Komplikationen sind?

Die Knochen, die in geringem Maße von Weichteilen bedeckt sind, sind weniger geschützt. Komplikationen treten deshalb häufiger an Unterschenkel, Unterarm oder Schlüsselbein auf als etwa am Oberschenkelknochen, der von viel Muskelmasse umgeben ist.

Wie häufig sind Komplikationen denn überhaupt?

Jeder zehnte Knochenbruch zieht Probleme nach sich. Wenn man bedenkt, dass ein Knochenbruch der häufigste Grund für einen Krankenhausaufenthalt ist, ist das eine ganze Menge.

Im Mittelalter zog man Knochen bei komplizierten Brüchen auseinander. Welche Methoden hat die moderne Medizin, um Knochen zu heilen?

Auch noch weit übers Mittelalter hinaus konnte man bei Brüchen nur von außen arbeiten und zog Beine in die Länge, um die Knochen zu richten. Erst mit der Entdeckung der Hygiene im 19. Jahrhundert und der Entwicklung von Implantaten konnte man Knochen operieren. Das schuf neue Möglichkeiten.

Inzwischen kann man Knochen sogar transplantieren. Machen Sie das auch in Heidelberg?

Ja. Man kann Kunstknochen oder sterilisierte Knochen von Spendern transplantieren oder sogar körpereigenen Knochen züchten – das ist unsere Präferenz. Heidelberg ist hier weltweit führend, außer uns machen das nur noch wenige andere Zentren.

Wie funktioniert das?

Bei einer zehn Zentimeter großen Lücke am Schienbein etwa entnehmen wir sehr schonend Knochen aus dem Inneren des Oberschenkels. Die Operation erfolgt in mehreren Schritten. Letztlich wirkten die Stammzellen des Knochens mit speziell entwickelten Wirksubstanzen wie Biogläsern oder Wachstumsfaktoren wie ein Bioreaktor unter der Haut, der im Unterschenkel neuen Knochen bildet. In Heidelberg wenden wir dieses Verfahren seit gut 15 Jahren an. Inzwischen haben wir erste Langzeitergebnisse. Sie sind erfreulich, denn der Erfolg hält an: Der Knochen bleibt stabil.

Info: Zum Thema Knochenbrüche, Therapien und Prävention spricht Prof. Gerhard Schmidmaier am Donnerstag, 22. Mai, um 19 Uhr in der Kopfklinik, im Neuenheimer Feld 400.

Beitrag: Julia Lauer, RNZ

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Fotos: Hendrik Schröder/UKHD