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Pille gegen das Altern

Gesund alt zu werden, ist ein Menschheitstraum. Davon, dass er künftig für immer mehr Menschen Realität werden könnte, ist der Geriatrie-Professor Jürgen Bauer überzeugt. Er leitet das Geriatrische Zentrum am Heidelberger Universitätsklinikum. Im Rahmen der Interviewserie „Medizin am Abend“ erklärt er, warum er eine Pille gegen das Altern auf einem guten Weg sieht.

Herr Professor Bauer, die Lebensspanne von Fadenwürmern kann mit Hilfe von Enzymen um die Hälfte verlängert werden. Warum klappt das bei uns Menschen noch nicht?

Weil wir keine Fadenwürmer sind und auch keine Mäuse. Das menschliche Altern vollzieht sich in anderen Zeiträumen. Wir sind ein komplexerer Organismus, und auch unsere Umweltbedingungen unterscheiden sich von denen eines Fadenwurms im Labor.

Wie stehen die Chancen, dass für uns bald eine Pille kommt, die das Altern aufhält?

Die Chancen stehen besser als je zuvor. Die vergangenen 15 Jahre haben viele Erkenntnisse auf diesem Gebiet hervorgebracht. Wir verstehen insbesondere auf molekularer Ebene viel besser, was beim Altern passiert. Daneben hat die pharmakologische Forschung Fortschritte erzielt. Die Pille gegen das Altern wird es geben. Ich rechne damit, dass es spätestens in 20, 30 Jahren so weit ist.

Es heißt, die maximale Lebenserwartung unserer Spezies liegt bei etwa 115 Jahren. Kann die Pille das ändern?

In Einzelfällen wird der Mensch 115, 120 Jahre alt. Die Pille gegen das Altern sollte nicht primär dafür sorgen, diesen Zeitpunkt noch weiter nach hinten zu verschieben, sondern dafür, dass mehr Menschen relativ gesund die Hochaltrigkeit erleben. Ein noch höheres Alter könnte aber ein Nebeneffekt dieser Pille sein.

Das heißt, es geht wirklich weniger darum, möglichst alt zu werden, sondern darum, möglichst gut zu altern?

Nur so lässt sich aus gerowissenschaftlicher Sicht seriös argumentieren. Gesamtgesellschaftlich betrachtet, geht es um die Aufrechterhaltung der Lebensqualität und um eine Minderung der Pflegebedürftigkeit. Ziel ist, die unschönen Aspekte des Alterns zu reduzieren und somit auch Antworten auf die Herausforderung einer alternden Gesellschaft zu finden.

Woran liegt es, dass der Tod unausweichlich ist?

Das Leben ist endlich, weil die zellulären Reparaturmechanismen im Körper irgendwann nicht mehr ausreichend funktionieren. Der Organismus verliert damit zunehmend sein Reservekapazität, der Abbau von Zellen schreitet voran. Belastungssituationen können schließlich nicht mehr bewältigt werden. Der ältere Mensch wir damit immer vulnerabler, verletzlicher.  

Und diesen Prozess soll eine Pille zumindest verlangsamen können?

Die Forschung dazu ist nicht so spekulativ, wie es auf den ersten Blick vielleicht klingt. Tatsächlich gibt es erste Humanstudien, die Hinweise darauf geben, dass sich der körperliche Abbau stoppen lässt und das Altern somit zu verlangsamen ist. Problematisch ist, dass wir auf diesem Gebiet realistischerweise auch zukünftig keine Forschungsarbeiten mit jahrzehntelangen Laufzeiten haben werden. Dafür haben aber Wissenschaftler sogenannte biologische Uhren entwickelt, die es gestatten, das biologische Alter einer Person über molekulare Blutmarker zu ermitteln. Die seriöse Alternsforschung geht davon aus, dass man Muskelschwund, Demenz, Osteoporose und viele andere Alterserkrankungen auf der Basis gemeinsamer molekularer Mechanismen wirkungsvoll angreifen kann.

Und es soll ausreichen, dafür eine Tablette zu nehmen?

Sicherlich nicht, um einem Couch Potato mit einem Medikament zu einem langen Leben zu verhelfen. Das wäre Science Fiction. Ohnehin werden eventuell auch mehrere Medikamente nötig sein, um an verschiedenen Stellen anzusetzen. Wie gesagt, der menschliche Körper ist sehr komplex. Daher werden auch die Lebensführung – Schlaf, Bewegung, soziale Einbindung, eine gesunde, zum Beispiel mediterrane Ernährung – eine Rolle spielen. Diese Faktoren haben nachweislich großen Einfluss darauf, ob man gesund altert. Darauf kann man also jetzt schon setzen.

Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus, wenn mehrere Medikamente zusammenkommen?

Das ist ein wichtiger Aspekt, der Schaden soll den Nutzen schließlich nicht überwiegen. Im Augenblick ist es deshalb ein Trend in der Wissenschaft, bereits entwickelte Medikamente, von denen man weiß, dass sie gut verträglich sind, auf diese Fragen hin zu testen. Man will wissen, welchen Effekt sie auch auf das Altern haben.

Angeblich könnte das Diabetes-Medikament Metformin das Altern stoppen, heißt es. Was ist da dran?

Das ist das bekannteste Medikament, zu dem aktuell in diesem Zusammenhang geforscht wird. US-amerikanischen Wissenschaftler, die eine große Humanstudie dazu aufgesetzt haben, hatten aber große Mühe, diese Studie zu finanzieren. Nun soll sie bald starten. Metformin ist ein weit verbreitetes Medikament, dass es schon lange gibt und auch sehr günstig ist.

Im Bethanien-Krankenhaus sind Sie als Arzt tätig. Verordnen Sie Ihren Patienten Metformin vorbeugend schon im großen Stil?

Nein, sicher nicht (lacht). Ich verschreibe es nur Diabetikern, denen es nachweislich hilft. Und auch ich selbst nehme es nicht. Wir brauchen eine seriöse Alternsforschung, profunde Untersuchungen, verwertbare Studiendesigns. Es sind übrigens mehrere Substanzen, die derzeit in der Testung sind. In fünf Jahren wissen wir mehr darüber, ob diese Wirkstoffe unter anderem die Alterung von Skelett und Muskulatur tatsächlich aufhalten können. Dass immense Gelder in diesem Bereich fließen, deutet übrigens auch darauf hin, dass die ersten Durchbrüche sicher nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Sagten Sie nicht gerade, die amerikanischen Wissenschaftler hätten Probleme gehabt, die Studie zu finanzieren?

Das ist etwas anderes. Metformin gibt es schon, damit lässt sich kein Geld verdienen. Das aber ist sicher eines der Ziele, wenn beispielsweise Saudi-Arabien jährlich eine Milliarde Euro in diesen Forschungsbereich hineinpumpt. Auch Investmentgruppen und Firmen aus dem Silicon Valley sind auf diesem Gebiet aktiv und investieren Milliarden. Dieses Geld setzen sie ein, weil sie sich Rendite davon versprechen. Und die Forschung ist auf diesem Gebiet schließlich schon ein beträchtliches Stück vorangekommen.

Man liest, in der Antike seien die Menschen 30 Jahre alt geworden. Allerdings ist das nur ein Durchschnittswert, die Säuglings- und Müttersterblichkeit war hoch. Was wissen wir wirklich über die Lebenserwartung zu Zeiten vor der modernen Zivilisation?

Es gab wohl auch schon damals Menschen, die sehr alt geworden sind. Das wurde in zahlreichen Quellen überliefert. Aber systematische Daten zur Lebenserwartung der Menschen in dieser Zeit sind mir leider nicht bekannt. Erst seit dem Industriezeitalter wissen wir zuverlässig wesentlich mehr. In den zurückliegenden 150 Jahren ist die Lebenserwartung in den westlichen Industrienationen dank einer verbesserten Hygiene und Ernährung sowie der Fortschritte der Medizin lange Zeit um drei Monate jährlich gestiegen. Zuletzt hat sich dieser Trend auch durch die Pandemie deutlich abgeschwächt. Das könnte sich künftig aber wieder ändern.

Das Interview führte Julia Lauer, RNZ

Referent

Professor Jürgen Bauer
Lehrstuhlinhaber für Geriatrie der Medizinischen Fakultät Heidelberg und Ärztlicher Direktor des Agaplesion Bethanien Krankenhaus Heidelberg