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Die Geschichte der Pädiatrie in Heidelberg


1860
1885
1910
1911
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1926
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1933
1937
1941
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1946
1951
1967
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1999
2013

Im Jahre 1860 stellte der Universitätsprofessor Theodor von Dusch (1824-1890) sieben teilweise geliehene Betten in eine kleine Wohnung und eröffnete die erste Heidelberger Kinderklinik. Nach der Großherzogin von Baden wurde die Kinderklinik Luisenheilanstalt genannt. Für die ersten 50 Jahre ihres Bestehens war sie auf Spenden und auf die Einkünfte aus Wohltätigkeitsbazaren angewiesen. Die Heidelberger unterstützen ihre Kinderklinik nach Kräften.

 

1885 wurde der Neubau der Luisenheilanstalt inmitten der Obstwiesen am Bergheimer Neckarufer eröffnet. Schon bald war das Haus überfüllt und wurde in den folgenden 80 Jahren durch Aufstockungen und zahlreiche Anbauten erweitert.

 

Das Motiv eines Heidelberger Nils Holgersson, der auf einem Raben über das Neckartal fliegt, entwarf der bekannte Karlsruher Künstler Hans Thoma (1839-1924) 1910 zum 50. Jubiläum der Kinderklinik. Der Text unter dem Bild lautet: Ich sammle für die armen Kinder der Luisenheilanstalt in Heidelberg. Die Marke war eine Belohnung für Kinder, die mit Sammelbüchsen von Haus zu Haus zogen.

 

Mit Ernst Moro (1874 - 1951) begannen 1911 die Goldenen Jahre der Heidelberger Pädiatrie. Mit seiner Berufung wurde die Kinderklinik zum Brennpunkt internationaler Forschung.

 

Tuberkulose und Rachitis waren in dieser Zeit die gefährlichsten Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters, und Mangelernährung war allgegenwärtig. Gemeinsam mit seinen engsten Mitarbeitern Ernst Freudenberg (1884-1967, Bild), Paul György (1893-1976) und Anni Noll (1900- 1966) bearbeitete Moro diese wissenschaftlichen Themen.

 

Ernst Moro wollte die schmerzhaften Tuberkulose-Untersuchungen abschaffen, unter denen seine Patienten sehr litten. Anstatt die Kinder mit einem Testserum zu impfen, entwickelte er die Moro-Probe, eine Salbe, die bei Tuberkulosepatienten charakteristische Hautveränderungen hervorrief.

 

Bei der Rachitis, die durch Mangelernährung und fehlendes Sonnenlicht entsteht, fehlt den Knochen Kalzium. Sie werden weich und biegen sich unter der Last des Körpers, was zu dramatischen Veränderungen des Skeletts führt. Bild: Ernst Moro (Mitte) und Anni Noll (rechts) vor der Luisenheilanstalt.

 

Ernst Freudenberg und Paul György (Bild) untersuchten in Selbstversuchen den Kalziumstoffwechsel in ihrem eigenen Blut. Sie gelten als Pioniere biochemischer Untersuchungsmethoden in der Kinderheilkunde. Seit 1926 schützt synthetisches Sonnenlicht in Form von Vitamin-D Tabletten Säuglinge vor der Rachitis.

 

Legendär ist Ernst Moros Satz "An apple a day keeps the doctor away" (Ein Apfel am Tag hält Dir den Arzt vom Hals). Selbst die Washington Post berichtete über Moros klinisch geprüfte Apfeldiät gegen hartnäckige Durchfallerkrankungen. Und das Rezept für Moros wohltuende Möhrensuppe wird bis heute in den Kochbüchern Heidelberger Großeltern gehütet.

 

Ernst Moro war ein hervorragender Zeichner. Alle Mediziner kennen das Bild, mit dem er den nach ihm benannten Klammerreflex erläuterte: Fällt ein neugeborenes Kind nach hinten, dann rudert es kurz mit den Händen. Beide Arme fahren symmetrisch auseinander, um sich dann im Bogen wieder zu schließen. Kleine Affen behalten diese Reaktion für eine lange Zeit. Die Reaktion schützt sie davor, von ihrer im Baumwipfel kletternden Mutter herab zu fallen. Beim Menschen verliert sich der Moro-Reflex in den ersten drei Lebensmonaten.

 

Das Team der Kinderklinik wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten auseinander gerissen. Ernst Freudenberg, der bereits seit 1921 Ordinarius in Marburg war, emigrierte in die Schweiz. Paul György und Anni Noll wanderten nach Großbritannien aus. Moro protestierte öffentlich geben die Vertreibung seiner Mitarbeiter. Zunächst schütze ihn sein internationaler Ruf, doch da seine Frau Grete als Jüdin verfolgt wurde, geriet er immer stärker unter Druck.

 

1937 trat Ernst Moro resigniert von allen seinen Ämtern zurück. In die Kinderklinik kehrte er nie wieder zurück, seine Patienten besuchten ihn in einer Kinderarztpraxis in der Mozartstraße 10. Nachfolger Moros wurde der überzeugte Nationalsozialsozialist Johann Duken (1889-1954). 

 

1941 warfen britische Flugzeuge Flugblätter über Heidelberg ab. Der Inhalt war erschreckend. Die Flugblätter warnten Eltern davor, ihre behinderten und schwer kranken Kinder zu Johann Duken zu bringen: „Wenn ein solches Kind in seine Klinik gebracht wird, bringt er es um.“ Heute ist erwiesen, dass Duken sich tatsächlich an den NS-Krankenmorden beteiligt hat.

 

Die aktive und offene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus begann bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Bis heute ist sie ein prägendes Element im Selbstverständnis der Heidelberger Kinderklinik. Das Foto zeigt die damalige Heidelberger Oberbürgermeisterin Beate Weber und den Direktor der Kinderklinik, Georg F. Hoffmann, bei der Enthüllung einer Gedenktafel für Ernst Moor und seine Familie im Dezember 2004.

 

Der erste Leiter der Kinderklinik nach dem Zweiten Weltkrieg, Philipp Bamberger (1898-1983), fand 1946 chaotische Verhältnisse vor. Die Klinik war hoffnungslos überfüllt. Bamberger bemühte sich, die Verbindung zu den nach 1933 vertriebenen Mitarbeitern wiederherzustellen. Der hervorragende Kliniker kannte sich in allen Sparten der Kinderheilkunde bestens aus. Bald hatte er den guten Ruf der Klinik wieder hergestellt. 

 

1951 begann der Umzug in das Neuenheimer Feld, wo zunächst ein Tuberkulosehaus und in der Folge zahlreiche weitere ein- und zweigeschossige Neubauten entstanden, die sich um ein 1965 errichtetes Bettenhochhaus gruppieren. Die Kinderklinik erhielt die beste Lage auf dem neuen Campus: direkt am Neckar und zwischen Botanischem Garten und dem Heidelberger Tierpark.

 

Als Horst Bickel (1918-2000) im April 1967 Ordinarius für Kinderheilkunde in Heidelberg wurde, war er bereits ein sehr bekannter Forscher. Bickel war berühmt für die von ihm entwickelte Ernährungstherapie der Phenylketonurie (PKU). Die seltene Krankheit beruht auf einem Gen-Defekt, durch den sich eine schädliche Aminosäure ansammelt, die Nervengewebe zerstört.

 

Horst Bickel entwickelte eine künstliche Nahrung, die keine für PKU Patienten gefährliche Substanzen enthielt. Sein Behandlungskonzept gilt als erster therapeutische Erfolg in der Ära moderner Genetik. Um die gefährliche Krankheit rechtzeitig zu entdecken, werden seither alle Neugeborenen am dritten Lebenstag auf PKU untersucht. Alle Proben aus Baden-Württemberg, dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz werden bis heute in der Heidelberger Kinderklinik untersucht.

 

Am 20.12. 1999 wird Prof. Georg F. Hoffmann zum neuen Ordinarius und Leiter der Abteilung Kinderheilkunde I (Schwerpunkte: Allgemeine Pädiatrie, Stoffwechsel, Gastroenterologie und Nephrologie) ernannt. Er ist auch Geschäftsführender Direktor der Universitäts-Kinderklinik Heidelberg.

 

Durch räumliche Erweiterungen im Gesamtklinikum liegen Kinder-Klinik und Frauen- und Hautklinik sowie die humangenetische Poliklinik nun unter einem Dach. Vor allem für die interdisziplinäre Pränatalmedizin, aber natürlich auch für die grundsätzliche Beratungen und Patientenbetreuungen ergeben sich so wertvolle Verbesserungen. 2013 nahmen außerdem die Frühgeborenen-Intensivpflegestation und der deutschlandweit einmalige kinderherzchirurgischen Operationssaal ihren Betrieb auf.