Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung

Hals-, Nasen- und Ohrenklinik

Definition der Erkrankung

Eine auditive Verarbeitungs- und/oder Wahrnehmungsstörung (AVWS) liegt vor, wenn bei normalem Tonaudiogramm zentrale Prozesse des Hörens gestört sind (Nickisch et al., 2007). Kinder, die davon betroffen sind, haben Schwierigkeiten bei der Lautdiskrimination und dem Erkennen und Verstehen akustischer Signale sowie bei der zeitlichen Analyse und der Schallokalisation und -lateralisation auditiver Stimuli (Brunner, 2007). Eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung ist somit eine  Informationsverarbeitungsstörung des auditiven Modalitätsbereichs, die einen großen Einfluss vor allem auf die sprachlichen und schriftsprachlichen Leistungen der Kinder hat.

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Ursachen

Es werden verschiedene Ursachen diskutiert:

  1. Eine Störung der zeitlichen Verarbeitung (Tallal, 1980, Watson 1992). Der Zusammenhang zwischen Zeit- und Sprachverarbeitung ergibt sich aus der Zeitstruktur akustischer Sprachsignale. So setzt die Diskrimination der Phoneme /d-b/ oder /d-t/ eine hoch auflösende zeitliche Verarbeitung voraus. Die Silben /da-ba/ unterscheiden sich akustisch hinsichtlich der Formantentransitionen (Frequenzveränderung beim Anklingen des Vokals), die Silben /da-ta/ hinsichtlich ihrer Stimmeinsatzzeit (Zeit zwischen Ende des Konsonanten und Anklingen des Vokals).

    Es ist bis jetzt nicht ausreichend geklärt, ob ein sprachfreies zeitliches Verarbeitungsdefizit der AVWS zugrunde liegt oder eher ein sprachgebundenes Phänomen.
  2. Serniclaes et al. (2001) vertreten die These, dass es sich um ein Defizit der kategorialen Wahrnehmung handelt. Es konnte gezeigt werden, dass die betroffenen Probanden sehr wohl zwischen zwei verschiedenen Realisationen eines Lautes unterschieden konnten, wenn er zur derselben Kategorie gehört, (z.B. interdentales und normales /s/ in der deutschen Sprache), aber nicht wenn die Laute unterschiedlichen Kategorien angehören (z.B. /d-t/).
  3. Ein weiteres Problem sei, dass innerhalb der Silbe benachbarte Laute sich gegenseitig beeinflussen. Die Phoneme verschmelzen auf dem Wege der Realisierung in der Artikulation gewissermaßen miteinander. Deshalb sei die Wahrnehmung von Konsonantenhäufungen nicht nur auf der auditiv-sensorischen Ebene, sondern auch auf der artikulatorischen und kinästhetischen Ebene zu betrachten.
  4. Weiterhin spielt für das Wahrnehmen, Behalten und Wiedergeben einer Phonemfolge der phonologische Arbeitsspeicher eine besondere Rolle (Baddeley, 1997).

Diagnose

Die einzelnen Bereiche der auditiven Wahrnehmung und Sprachverarbeitung werden mit standardisierten psychometrischen und audiologischen Testverfahren erfasst.

Die Phonemdiskrimination mit dem Heidelberger Lautdifferenzierungstest (HLAD) (Brunner et al.)

Mit dem Test wird die Phonemdifferenzierung von Plosiv- und Zischlauten anhand von Minimalpaaren auf drei Ebenen erfasst:

  1. der Ebene der auditiven Unterscheidungsfähigkeit,
  2. der Ebene des Nachsprechens,
  3. der Ebene der Benennung des Anlauts bei Konsonantenhäufungen (Phonem-Graphemkorrespondenz).

Die Vokallängendiskrimination mit dem Heidelberger Vokaldifferenzierungstest (HVT) (Brunner et al.)

Der HVT gliedert sich in drei Untertests:

  1. Auditiver Vergleich von zwei nacheinander erklingenden Kunstwörtern, die sich nur in der Länge des Vokals unterscheiden (Minimalpaar).
  2. Analysieren der Vokallänge von einzeln dargebotenen Kunstwörtern (ohne direkten Vergleich).
  3. Markierung der Vokallänge durch die Schreibweise.

Der auditive Arbeitsspeicher mit dem Zahlenfolgegedächtnistest aus der KABC (Melchers & Preuß)

Hiermit wird die Kapazität der serialen Hörgedächtnisspanne erfasst.

Der phonologische Arbeitsspeicher mit dem Mottier-Test zum Silbenfolgegedächtnis (Mottier)

Die Sprachverarbeitung im Vorschulalter mit dem Heidelberger Vorschulscreening ( Brunner et al.)

Audiologische Tests

  • Tonaudiogramm
  • Sprachverstehen (z.B. Freiburger Test)
  • Störschall / Nutzschall Separation (z.B. Freiburger Test im Störschall)
  • Dichotisches Hören  (Uttenweiler/Feldmanntest) 

Ablauf der Behandlung

In der Regel wird eine logopädische Therapie verschrieben. Hierin kommen verschiedene Therapieverfahren zum Einsatz:

  1. übende Verfahren zur Phonemdifferenzierung, Phonemidentifikation,
  2. Verfahren zur Kompensation gestörter Funktionen (z.B. metakognitive Verfahren) und
  3. kompensatorische Verfahren zur Verbesserung der akustischen Signalqualität (Verbesserung des Signalstörschallverhältnisses sowie der Intensitätserhöhung des an das Ohr kommenden Signals).

Besonders häufig werden diejenigen auditiven Funktionen trainiert, die als Kernsymptome einer auditiven Wahrnehmung gelten, die Phonemdisksrimination.

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