Kiefergelenkserkrankungen und Craniomandibuläre Dysfunktion

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

Definition der Erkrankung

Das Craniomandibuläre System besteht aus den Zähnen des Ober- und Unterkiefers, der Kaumuskulatur und den Kiefergelenken. Die wichtigsten Funktionen des Craniomandibulären Sytems sind das Kauen und das Sprechen. Störungen in diesem System bezeichnen wir als Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD).

Unter CMD werden alle schmerzhaften und nicht schmerzhaften Beschwerden zusammengefasst, die auf strukturelle, funktionelle, biochemische und psychische Fehlregulation der Muskel- und/oder Kiefergelenksfunktion zurückzuführen sind.

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Symptome

Symptome der CMD zeigen sich häufig im zahnärztlichen Bereich mit Kaumuskelschmerzen (Myalgie, Myopathie), Kiefergelenksschmerzen und –geräuschen (Arthralgie, Arthropathie), Zahnschmerzen, Zahnhypersensibilitäten, Zahnlockerungen und Zahnwanderungen. Aber auch Schmerzen im primär nicht betroffenen Bereichen wie Kopf und Gesicht, Nacken, Hals, Schulter, Rücken und Gelenken sowie Irritationen im Bereich des Ohres (z. B. Tinnitus, Schwindel), der Augen (z. B. Sehstörungen), des Halses (z. B. Schluckbeschwerden, Stimmveränderungen) und Taubheitsgefühle in Armen und Fingern gehören ebenso zum CMD-Symptomenkomplex.

Ablauf der Behandlung

Michigan-Schiene, frontal
Michigan-Schiene, seitlich

Grundsätzlich sollte die Therapie der CMD nicht allein unter der zahnärztlichen Betrachtungsweise, sondern auch unter einem interdisziplinären medizinischen Ansatz erfolgen.

Als wirkungsvolle positive Beeinflussungsmöglichkeiten beim Beschwerdebild der CMD  werden physiotherapeutische Maßnahmen, wie Kälte, Wärme, Massagen und Bewegungsübungen angesehen.

Zusätzlich besteht die Möglichkeiten der systemischen medikamentösen Therapie in Form von Analgetika, nonsteroidaler Antirheumatika, Muskelrelaxantia, trizyklische Antidepressiva und Kortikoide.

Eine weitere Behandlungsmöglichkeit besteht in der Eingliederung einer herausnehmbaren Okklusionsschiene (Aufbissschiene) aus Kunststoff, um die Stellung des Kiefergelenks günstig zu beeinflussen und das Kausystem zu entlasten (Abbildung 1).

Durch die Schiene wird der Unterkiefer in eine neue Position gebracht und die Überaktivität der Kaumuskulatur verringert. Außerdem entlastet eine Schiene die Kiefergelenke. Die hohe Erfolgsrate der Schienentherapie ist durch Studien gut dokumentiert.

Wirkungsweise einer Schienentherapie

  • Minderung bzw. Ausschalten von Parafunktionen
  • Reduktion bzw. Ausschaltung von muskulären Dysfunktionen
  • Beeinflussung von anatomischen Beziehungen innerhalb des Kiefergelenks
  • Kaukraftbeeinflussung
  • Verringerung der Mobilität und Verschleiß der Zähne
Computertomographische Darstellung einer Arthrose des linken Kiefergelenks in der 3D-Rekonstruktion
Rechtes Kiefergelenk in koronarer Schichtung

Eine chirurgische Therapie kommt bei gelenkbedingten (arthrogenen) Funktionsstörungen in Frage, bei denen vorhergehende konservative Behandlungsmaßnahmen keinen Erfolg hatten. Am Beginn der Stufenleiter minimal-invasiver Verfahren steht die sogenannte Gelenkspülung (Arthrozentese und Lavage), die heute auf evidenz-basiertem Niveau bereits auch in der Akut-Therapie zum Einsatz kommt.

Bei dieser minimal invasiven Operationsmethode, die in Vollnarkose vorgenommen wird, wird der obere Anteil des Kiefergelenks mit zwei dünnen Nadeln punktiert und mit Flüssigkeit unter Druck gespült. Der Effekt dieser Maßnahme besteht darin, feine Narben zu lösen und entzündete Zellen bzw. Eiweißstoffe, die für Schmerzen verantwortlich sein können, herauszuspülen.

Durch diese Entfernung kann auch eine entzündete Gelenkoberfläche oder Gelenkflüssigkeit ausheilen. Zum Abschluss wird der verlagerte Discus articularis durch geführte Bewegungen des Unterkiefers mobilisiert und die Gelenkkapsel gedehnt.

Bei der Osteoarthrose des Kiefergelenks (Abbildung 2), die klinisch meist durch funktionsabhängige Schmerzen, geringer Bewegungseinschränkung und Krepitationen charakterisiert ist, stellt die Arthrozentese mit Lavage ein frühzeitiges Verfahren der Wahl zur Schmerzreduktion dar.

Liegt eine akute Diskusverlagerung ohne Reposition vor, kann mit dieser Methode in vielen Fällen eine rasche Reposition des Diskus vorgenommen werden. Schienentherapie und Physiotherapie sollten in jedem Fall begleitend eingesetzt werden.

Eine Indikation zur Arthroskopie des Kiefergelenks wird hauptsächlich bei funktionsabhängigen Beschwerden im Kiefergelenkbereich gesehen, wenn die klinische und bildgebende Diagnostik eine exakte Diagnosestellung nicht zulassen oder nicht-invasive Therapieverfahren zu keiner Beschwerdebesserung geführt haben.

Um Veränderungen an Knorpel, Knochen, Bändern und an der Schleimhaut exakt darzustellen, wird eine kleine Optik in das Kiefergelenk eingebracht. Diese vergrößert die Strukturen des Gelenkraums wie ein Mikroskop. Bei der Arthroskopie sind zusätzlich eine direkte Inspektion und bestimmte therapeutische Maßnahmen wie das Lösen von Adhäsionen oder die Glättung von Knorpeloberflächen durch Einsatz eines Trochars und entsprechender endoskopischer Instrumente möglich.

Wenn konservative und minimal invasive Maßnahmen keinen Behandlungserfolg erbracht haben, können als Ultima Ratio offene Verfahren in Betracht gezogen werden. Als Zugangswege haben sich Schnittführungen vor dem Ohr (präaurikulär), hinter dem Ohr (retroaurikulär) und unterhalb des Kieferwinkels (submandibulär) bewährt. Grundsätzlich besteht ein, wenn auch geringes, Risiko der Schädigung des Gesichtsnerven (N. facialis) bzw. seiner Äste mit daraus folgender Lähmung der mimischen Muskulatur.

So wird beim Vorliegen einer bindegewebigen oder knöchernen Ankylose, die klinisch durch eine erhebliche Einschränkung der Mundöffnung imponiert, über einen präaurikulären Zugang eine Gewebelücke zwischen dem ehemaligen Fossabereich und dem Collum mandibulae geschaffen. Zur Vermeidung einer Reankylose dienen Platzhalter aus autologen Materialien (Temporalisfaszie, Fascia lata, Knorpelscheiben) oder alloplastischen Materialien (Silastikblock).