MANV + Evakuierungsübung Übung 2017 „Neckarsonne“
Eine Katastrophenschutzübung in diesem Ausmaß hatte es in Baden-Württemberg bisher noch nicht gegeben: Mitte November übten in Heidelberg über 400 Teilnehmer aus neun verschiedenen Organisationen und etwa 70 Patientendarsteller für den Ernstfall. Allein 240 der Teilnehmer waren Mitarbeiter des Universitätsklinikums – und zwar quer durch alle Berufsgruppen und Hierarchieebenen hinweg. Das Besondere: Die Übung fand an vier verschiedenen Orten – auf dem Neckar, der Neckarwiese sowie in der Chirurgischen Klinik und der Kopfklinik – statt und beinhaltete eine aufwändige und schwierige technische Rettung der Verletzten eines Schiffs. Für das Klinikum bedeutete insbesondere die Erprobung eines Massenanfalls von Verletzten (MANV) absolutes Neuland. Bei einer zeitgleich stattfindenden Übung in der Kopfklinik mussten 26 Personen von einer Station evakuiert werden. Hier waren 40 Mitarbeiter des Klinikums involviert.
Gegen 17 Uhr kam es auf dem Neckar auf dem Solarschiff „Neckarsonne“ 500 Meter flussabwärts der Wasserschachtel in Höhe der Insel zu einer Rauchentwicklung. Der Kapitän konnte gerade noch den Anker werfen und Notruf absetzen, dann brach der Kontakt ab. Als erstes traf ein Team der DLRG an der Neckarwiese ein: Ein Boot mit Besatzung und Sanitätsteam fuhr unverzüglich zur in der Flussmitte treibenden Neckarsonne. Dort bot sich den Erstrettern eine chaotische Szenerie: Die ca. 70 Unfalldarsteller, realistisch gespielt von Mitgliedern des Vereins „Emergency Simulation“ aus dem Saarland, lagen schwer verletzt auf dem gesamten Schiff – z. T. unter Tischen und Stühlen begraben. Nachdem das Ausmaß der Katastrophe klar war – es gab Verletzte mit offenen Knochenbrüchen, Verbrennungen, Wirbelsäulenverletzungen, offenen Bauchwunden u. v. m. – wurde ein Massenanfall von Verletzten (MANV) der Stufe 4 ausgerufen und die Alarmierungskette gestartet. Nun ging es Schlag auf Schlag: Innerhalb kurzer Zeit trafen die verschiedenen Rettungsorganisationen an der Neckarwiese ein. Während DLRG und THW mit insgesamt acht Booten die verletzten Patienten an Land brachten, riegelte die Polizei den Unfallort auf dem Fluss, die Straßen und die Neckarwiese großzügig ab.
„Die aktuelle Übung ging in vielen Bereichen weit über das hinaus, was in der Vergangenheit trainiert wurde“, so Prof. Dr. Erik Popp, Leiter der Sektion Notfallmedizin. Nach der Explosion auf dem Ausflugsschiff „Neckarsonne“ dauerte es nur wenige Minuten, bis der Leitende Notarzt die Notambulanz der Chirurgischen Klinik von dem Unglück und den schwer verletzten Patienten in Kenntnis setzte. Mit Hilfe einer erstmals eingesetzten automatischen Alarmierung wurden Ärzte, Pflegepersonal und der Krisenstab des Klinikums informiert. Nun galt es, vom „normalen“ Klinikbetrieb umzuschalten und die Strukturen zur Bewältigung eines MANV zu schaffen. Dazu wurde in der Eingangshalle der Chirurgie ein „Sichtungstrichter“ eingerichtet, von dem aus die Patienten der weiteren Versorgung entsprechen der Sichtungskategorie im Schockraum, Operationssaal oder Ambulanz zugeführt wurden.
Dr. Martin Göring, Sektion Notfallmedizin und stv. medizinischer Katastrophenschutzbeauftragte des Klinikums: „Die Zusammenarbeit der beteiligten Fachgebiete und Berufsgruppen funktionierte reibungslos. Nach der Alarmierung wurden in kürzester Zeit die Voraussetzungen geschaffen, um eine große Anzahl an Verletzten aufnehmen zu können.“ Als gute Lösung für den Ernstfall erwiesen sich Materialwagen, die spezielles Material zur Bewältigung einer Großschadenslage enthalten.
Ebenfalls erstmals getestet wurden die elektronische Patientenregistrierung und ein zentraler Anlaufpunkt zur Erfassung der eintreffenden Mitarbeiter. Beide Punkte ermöglichten der Einsatzleitung im Casino der Chirurgischen Klinik einen schnellen Überblick über die Anzahl der aufgenommenen Patienten, die Schwere ihrer Verletzung sowie über das bereits anwesende Personal. Dr. Martin Göring: „Der Registrierung der alarmierten Mitarbeiter kommt im Ernstfall eine zentrale Bedeutung zu, um die personellen Ressourcen der entsprechenden Einsatzstelle – OP, Schockraum, Ambulanz oder Foyer Triage-Bereich, etc. – zuzuordnen.“
Nach Ende der Übung waren es 54 Patienten mit überwiegend lebensbedrohlichen Verletzungen, die binnen zwei Stunden vom Neckar in die Chirurgische Klinik gebracht wurden. Prof. Dr. Erik Popp: „Insgesamt hat die Übung gezeigt, dass unser Klinikum bereits über ein gutes Konzept zur Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten verfügt. Dieses gilt es jetzt in einzelnen Punkten zu optimieren.“
Einsatzleiter Jürgen König, Leiter der Abteilung Sicherheit und Ordnung der Klinik Service GmbH des Klinikums, war mit dem Gesamtablauf sehr zufrieden: „Das Zusammenspiel der beteiligten Einsatzkräfte hat reibungslos funktioniert. Diese Großübung trägt dazu bei, dass das Klinikum gemeinsam mit den Partnern für einen Ernstfall gut vorbereitet ist. Wir danken allen, die diese Übung mit so großem Engagement unterstützt und ermöglicht haben, besonders den Ehrenamtlichen“, sagt. „Wir werden den Übungsablauf gemeinsam detailliert auswerten und daraus wichtige Erkenntnisse für den Katastrophenschutz gewinnen.“
Ab 18.45 Uhr fand in der Kopfklinik ein weiteres, internes Übungsszenario statt: Im Erdgeschoss kam es aufgrund eines Austritts einer unbekannten Flüssigkeit zu einer Gefährdungssituation, in deren Verlauf Schauspielerpatienten – gespielt von Mitgliedern der Jugendfeuerwehren – von der Augenklinik Richtung Medizinische Klinik evakuiert werden mussten. Nach der Alarmierung der Evakuierungshelfer (18.55 Uhr) und der Einberufung des Krisenstabs der Kopfklinik (18.57 Uhr) konnte um 19.06 Uhr mit der Evakuierung der Station begonnen werden. Schon um 19.29 Uhr waren alle Patienten am Sammelplatz registriert. Barbara Bothe-Mackert aus dem Krisenstab: „Die Erkenntnisse der Evakuierungsübung werden nun für die Verbesserung der Alarmierung von Evakuierungshelfer und Krisenstab sowie der Schaltung der Aufzüge genutzt.“ Die Kaufmännische Leiterin der Kopfklinik weiter: „Wir danken allen Akteuren für ihren Einsatz und freuen uns, dass die Evakuierung so schnell und reibungslos funktioniert hat.“